Bedrohung und Dilemma – Taiwans sicherheitspolitische Strategie gegenüber China

Ein Vortrag von Dr. Sheu Jyh-Shyang am 28.11.2019 an der Universität Tübingen zu den aktuellen sicherheitspolitischen Herausforderungen und strategischen Ausrichtung der taiwanesischen Streitkräften gegenüber der Volksrepublik China. Der Vortrag wurde organsiert durch die Hochschulgruppe Außen-und Sicherheitspolitik in Tübingen.

Taiwan braucht Abschreckung“ so Dr. Sheu. Ob die Stationierung von Mittelstreckenraketen durch die USA die Beziehung zur Volksrepublik China (VRCh) noch verschlechtern könne sei jedoch, aufgrund der der nicht vorhandenen diplomatischen Beziehung der beiden Länder, kaum eindeutig zu bewerten. Was im europäischen Kontext nach Ende des Kalten Krieges zunehmend in den Hintergrund gerückt ist, bleibt in an der Taiwanstraße jedoch maßgeblicher Angelpunkt sicherheitspolitischer Überlegungen. Die Abschreckungslogik als Garant einer unabhängigen Republik China (Taiwan) vom Festland besteht dabei seit Beginn des Konfliktes vor 70 Jahren fort.


Dennoch kann seit der Modernisierung der chinesischen Volksbefreiungsarmee (VBA) in den 1980er eine zunehmende Verschiebung des Mächtegleichgewichtes und der technologiebedingten Fähigkeiten beobachtet werden, welche letztlich auch die Bedrohungslage durch das Festland für Taiwan verstärkt. So weist Dr. Sheu daraufhin, dass gerade vor diesem Hintergrund die VBA eine Strategie verfolgt, welche als ein „all domain threat“ für die Republik China gelten muss. Dabei werden nicht nur Kapazitäten für einen unmittelbaren bewaffneten Konfliktfall in der VBA aufgebaut, sondern auch sogenannte „grey zone forces“, welche auch in Friedenszeiten zum Einsatz kommen. Dabei bedienen sich solche Kräfte unterschiedlichster Instrumente, um Taiwans Sicherheitslage zu verschlechtern. So sind etwa militärische wie zivile Infrastruktur in Taiwan einer Vielzahl von Cyberangriffe ausgesetzt, darunter auch die Universitäten. Aber auch das systematische Eindringen von
maritimen Milizen und chinesischer Luftstreitkräfte in taiwanisches Hoheitsgebiet kann als eine wichtige Form chinesischer Provokation gelten. Dennoch erstrecken sich diese Maßnahmen letztlich nicht nur auf unmittelbare Effekte, sondern zielen auch auf eine nachhaltige Destabilisierung der taiwanesischen Gesellschaft ab, wenn etwa religiösen Gruppen oder kriminellen Organisationen innerhalb Taiwans durch die Volksrepublik unterwandert und instrumentalisiert werden.


Doch wie kann das Militär letztlich auf diese zunehmende Bedrohungslage reagieren?
Insbesondere innerhalb der Streitkräfte sei die zunehmende Überlegenheit der Volksbefreiungsarmee zentraler Ansatzpunkt für die Strategieentwicklung. So wird vor allem das Konzept einer asymmetrischen Kriegsführung hervorgehoben, die besonders darauf basiert, „small, many, mobile and lethal weapon systems“ zu beschaffen. Ziel dieser Strategie sei es einen effizienteren Weg zu eröffnen, chinesische Streitkräfte hinzuhalten bis amerikanische und/oder internationale Unterstützung eintrifft. Gerade vor dem Hintergrund einer ambivalenten Taiwanstrategie der USA, welche einen eindeutigen Schluss über die amerikanische Unterstützung im Konfliktfall kaum zulässt, sei es daher notwendig Szenarien- und Strategieentwicklung über diesen Fall hinaus miteinzubeziehen.


Jedoch eignen sich, so Dr. Sheu, solche asymmetrischen Kapazitäten letztlich nur für die Bedrohung durch eine chinesische Invasion – einen Schutz gegen die „grey zone forces“ bieten sie dabei kaum. Es bedarf daher weiterhin auch großer Waffensysteme, wie etwa moderner Kampfflugzeuge, um systematischen Grenzverletzungen in Friedenszeiten begegnen zu können.


Ziel muss es daher sein in traditionelle wie auch asymmetrischen Fähigkeiten und Kapazitäten zu investieren und diese gegeneinander auszubalancieren, um auf die chinesische Herausforderung reagieren zu können. Dennoch fehle es dafür bisher an gesellschaftlichem Rückhalt. So bedürfte es eines höheren Militäretats zur vollständigen Modernisierung der Streitkräfte. Solche zunehmenden Ausgaben stehen dabei in direkter Konkurrenz zu anderen Projekten und Politikfeldern, welche von der Bevölkerung zumeist als wichtiger erachtet werden. Auch, und da unterscheide sich Taiwan kaum von Deutschland, seien die zunehmenden Personallücken innerhalb der Streitkräfte nur schwer zu schließen. Ob Attraktivitätsstrategien, wie sie auch die Bundeswehr verfolgt, diese Probleme letztlich auflösen kann, wird sich jedoch noch zeigen müssen.