Der Einfluss der chinesischen militärischen Modernisierung auf die internationale Sicherheitsarchitektur

Am 24. Januar 2020 war Dr. Sarah Kirchberger, Leiterin der Abteilung Strategische Entwicklung in Asien-Pazifik des Instituts für Sicherheitspolitik (ISPK) der Universität Kiel, zu Gast bei der Hochschulgruppe für Außen- und Sicherheitspolitik in Tübingen. Sie sprach zu den Modernisierungsbestrebungen der chinesischen Streitkräfte und dem sich verschiebenden strategischen Gleichgewicht in Ost- und Südostasien.

Zu Beginn ihres Vortrags sprach Dr. Kirchberger von den aktuellen militärstrategischen Herausforderungen für die Volksrepublik. Diese sind vor allem durch die USA personifiziert, welche eine voll entwickelte Nukleartriade und „Global Strike“ Kapazitäten besitzen und mit diesen Fähigkeiten das chinesische Festland bedrohen können. Aus chinesischer Sicht ist man von US-Stützpunkten in mehreren asiatischen Ländern umgeben. Auf strategischer Ebene kommt hier hinzu, dass Chinas seegestützte ballistische Flugkörper die amerikanische Westküste nur erreichen können, sofern sie von Plattformen im Pazifik abgeschossen werden. Dr. Kirchberger wies drauf hin, dass Chinas Belt-and-Road Initiative vor diesem Hintergrund als eine Anti-Containment Strategie verstanden werden müsse. So ist auch die neue Basis in Dschibuti kein reiner ziviler Logistik-Hub, sondern bietet mehreren tausend Soldaten Platz und verfügt über Start- und Landebahnen für schweres militärisches Gerät.

 

Ein Schwerpunkt in der chinesischen militärischen Modernisierung stellt die Marine dar, welche bis zum Jahr 2005 als eine reine Küstenmarine fungierte und seitdem stark angewachsen ist. Erneuten Impetus erhält diese Teilstreitkraft seit der Militärreform 2015 durch den Vorsitzenden der Kommunistischen Partei Chinas, Xi Jinping. So hat China seit 2014 seine Seestreitkräfte bereits um die Gesamtmenge an Schiffsstahl der japanischen Marine vergrößert. Laut Dr. Kirchberger, werden Schiffe in chinesischen Werften im 3-Schicht-Betrieb an sieben Tage in der Woche gebaut. Dies gleiche einem Betriebszustand, den man sonst nur aus Kriegszeiten kenne. Schon heute gehören ca. 40% aller U-Booten im Asien-Pazifik Raum zur Volksbefreiungsarmee.

 

Seit 2015 gibt es eine enge militärische Zusammenarbeit zwischen China und Russland, die sich in gemeinsamen Militärübungen zu Land und zur See, sowie der gemeinsamen Entwicklung von Waffentechnologien zeigt. So unterstützt Russland China etwa bei der Entwicklung eines Frühwarnsystems zur Abwehr ballistischer Flugkörper. Eine engere Kooperation zwischen China und Russland könnte auch eine Stationierung chinesischer nuklear bewaffneter U-Boote in der Arktis ermöglichen und damit das Problem der Reichweite seegestützter chinesischer Nuklearwaffen lösen. Dies sind Optionen, die in chinesischen Fachzeitschriften ernsthaft untersucht werden.

 

Die Rolle Taiwans in der chinesischen Sicherheitswahrnehmung hob Dr. Kirchberger besonders hervor. Sie führte aus, dass Taiwan ein strategisch wichtiger Punkt für China sei, da es von dessen Ostküste direkten Zugang zum Pazifik hätte und China damit aus der „ersten Inselkette“ ausbrechen könnte. Sie gab zu bedenken, dass man China klar machen müsse, dass Taiwan keine „zweite Krim“ werden dürfe. Bei einer Invasion wären Verluste vermutlich hoch und Widerstand auf taiwanesischer Seite intensiv. Die erschreckende Aussage von Konteradmiral Luo Yuan, dass man „zwei amerikanische Flugzeugträger zerstören müsse, damit die USA sich aus dem Pazifik-Gebiet zurückziehen“ weise auf die zum Teil radikalen Positionen innerhalb des chinesischen verteidigungspolitischen Establishments hin. Dr. Kirchberger erläuterte, dass man in Teilen der amerikanischen Streitkräfte annehme, dass Taiwan in der Dekade von 2030-2040 „zurückerobert“ werden solle. Damit bliebe bis 2049, einem bedeutsamen Jahr im chinesischen politischen Kalender, Zeit, um innere Konflikte zu befrieden und Beziehungen zur westlichen Welt zu normalisieren.

 

Für die Zuhörenden wurde deutlich, dass die chinesische Sicherheitspolitik kein Nischenthema mehr sei und in Zukunft vermutlich noch mehr Beachtung finden wird.