Neoimperiale Politik? Chinas regionale und globale Ambitionen – und wie sich der „Westen“ dazu verhalten kann

Am Montag, den 05.07.21 fand eine Kooperationsveranstaltung der Tübinger Hochschulgruppe zusammen mit der Deutschen Atlantischen Gesellschaft statt. Bei der ersten hybriden Veranstaltung seit Beginn der Coronapandemie durften wir Professor Dr. Gunter Schubert zu einem Gespräch mit dem Thema „Neoimperiale Politik? Chinas regionale und globale Ambitionen – und wie sich der „Westen“ dazu verhalten kann“ im Hesse Kabinett Tübingen empfangen. Das Gespräch moderierte Christian Gottschalk der Stuttgarter Zeitung.

Nach einer kurzen Begrüßung durch das Hesse Kabinett und zwei Vetreter:innen unserer Hochschulgruppe begann Herr Gottschalk mit einer Frage zum Inselkonflikt im Süd- aber auch Ostchinesischen Meer. Professor Schubert erklärte, dass Chinas Politik hier in den Konflikt mit internationalem Seerecht gerate, dieses aber hinter eigens definierte historische Rechte zurückstelle. Dieser historische Anspruch auf die Territorien werde auch konsequent verfolgt und werde weiterhin für Konflikte sorgen, wobei die Konfliktlage zwischen süd- und ostchinesischem Meer differenziert werden müsse.


Betrachte man die momentane Stimmung im Land, so sei diese aus der Ferne generell schwer wahrnehmbar. Sie sei allerdings grundsätzlich positiv und unterstützend gegenüber der Kommunistischen Partei und der Politik Xi Jinpings. Dieser habe China seit 2012 stark zentralisiert und alle Politikbereiche unter den Sicherheitsinteressen Chinas subsumiert. Da diese Strategie momentan allerdings weitestgehend aufgehe, genieße seine Politik eine große Legitimität innerhalb des chinesischen Volkes.


Das Gespräch wandte sich daraufhin der Beziehung Chinas zu den USA zu. Man befinde sich hier in einer Übergangsphase mit einer etablierten und einer aufstrebenden Weltmacht. Es sei ein Wettbewerb zwischen Hegemonialmächten, dessen Ausgang noch nicht entschieden sei. Die USA unter Biden bringen derzeit ihre Alliierten gegen China in Stellung, erhöhen ihre Militärpräsenz im Pazifik, seien China in seiner unmittelbaren Peripherie allerdings bereits unterlegen. China verfüge andererseits nicht über die Globalpräsenz der USA. Dieses Aufeinandertreffen von Militärmächten bietet laut Professor Schubert allerdings auch ein großes Risiko militärischer Eskalation. Dies zeige sich insbesondere an der Situation um Taiwan (Republik) China, in der Xi Jinping bei den Feierlichkeiten zum 100. Jubiläum der Kommunistischen Partei Taiwan als integralen Teil Chinas bezeichnete. Es bleibe allerdings fragwürdig, ob China in der Lage ist, eine erfolgreiche Invasion durchzuführen und ob das tatsächlich stattfinden werde. Auch im Bezug zu anderen Anrainerstaaten zeige sich Chinas Dominanz, indem jedes Land in der Peripherie stark von China abhängig ist. Sorgen um die eigene Sicherheit bestünden allerdings trotz dessen. Generell hielten sich die Staaten allerdings zurück, um nicht durch einseitige Positionierung zwischen den USA und China zerrieben werden.


Ein weiteres intensiv besprochenes Thema war das Projekt „Neue Seidenstraße“. Professor Schubert ist hier in der Bewertung vorsichtig. Zunächst sei es ein globales Infrastrukturprojekt, welches die Integration diverser Volkswirtschaften zum Ziel habe. Dabei handle es sich auch nicht um ein homogenes Projekt, sondern sei viel experimenteller und letztlich ein großer Flickenteppich von Innovationsprojekten. Ebenso sei auch die EU nicht abgeneigt, dass das Infrastruktur geschaffen wird, da es auch Zugang zu anderen Märkten erleichtern würde. Kritik an dem Projekt sei jedoch ernst zu nehmen. Die Schuldenfallen sind real, könnten aber auch mit grundsätzlichen strukturellen Problemen der Entwicklungspolitik zusammenhängen. China sei hier angehalten, nicht zu dominant aufzutreten, da auch sie auf Kooperation angewiesen seien. Die Missbilligung jeglicher Kritik an China und unvorteilhafte Konditionen der Kreditvorhaben, führten bereits zu einigen Pushbacks in betroffenenLändern. Wichtig bleibe allerdings ein differenzierter Blick, der auch die Chancen eines solche Projekts wahrnehme.


Professor Schubert machte deutlich, dass der sog. „Westen“ sich überlegen muss, wie er mit seinen Wertevorstellungen umgeht und diese gegenüber anderen vertritt. Langfristig bestehe keine Möglichkeit, China durch beispielsweise wirtschaftliches „Decoupling“ unter Druck zu setzen, nachdem sich bereits der Ansatz „Handel durch Wandel“ als Fehleinschätzung herausgestellt hat. Es liege an dem „Westen“, einen Modus Vivendi zu etablieren, indem im Zusammenspiel von Druck und Gesprächen mit China verhandelt werde. Auch Deutschland wäre gut beraten, sich zu überlegen, wie es mit China umgehen möchte und auch wie es selbst von China behandelt werden will. Momentan ist die deutsche Wirtschaft, insbesondere die Automobilwirtschaft, stark in China involviert. Noch bestehe eine technologische Lücke, es sei allerdings fraglich wie lange noch. Deutsche Firmen müssten sich daher auf einen Plan B einstellen, sofern China nicht von seinem wirtschaftsnationalistischen Kurs abweiche.
Die gestellten Fragen der Zuhörer:innen befassten sich noch mit den Ambitionen Chinas bis 2060 klimaneutral zu werden, was laut Professor Schubert durchaus ernst gemeint sei und in das chinesische Selbstverständnis passe, sich den Status als Innovationsland zu erarbeiten und klimafreundliche Schlüsseltechnologien zu besetzen. Thematisiert wurde außerdem die Symbolik der Kommunistischen Partei, die sich zuallererst an das chinesische Volk selbst richte. Stabilität und Legitimität seien in der KP von hoher Priorität.


Am Ende einer überaus vielseitigen und differenzierten Veranstaltung wagte Professor Schubert noch einen vorsichtigen Blick in die Glaskugel. Seiner Auffassung nach brauche es eine andere, weniger konfrontative Politik gegenüber China, die sich von der momentanen amerikanischen Politik unterscheide. Hier müsse geklärt werden, ob man einen konfrontativen Transatlantismus wiederbelebe oder doch mehr Differenziertheit anstrebe, die einem letztlich auch mehr Verhandlungsspielraum lasse. Noch sei nicht absehbar, ob die chinesische Politik unter Xi Jinping aggressiver werde oder doch kooperativ gehandelt werde, da auch letztlich China auf Kooperation angewiesen ist. Deutschland müsse daher versuchen, mit China eng im Gespräch zu bleiben. Diese Politik vermisst Prof. Schubert momentan allerdings noch. Er hofft darauf, dass China in den nächsten Jahren mehr in den Fokus deutscher Politik, aber auch der Zivilgesellschaft rückt. Wissen über China, die Politik und die Kultur seien hierzulande noch sehr rudimentär. Er wünscht sie daher mehr Interesse und Verständnis, auch außerhalb der akademischen Blase.


Wir bedanken uns bei der Deutschen Atlantischen Gesellschaft und den beiden Referenten, Professor Schubert und Herrn Gottschalk, sowie dem Hesse Kabinett Tübingen für diesen überaus interessanten Abend. Die Veranstaltung wurde aufgezeichnet und kann hier nachgesehen werden.